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14.07.2021
Metalle mit Erinnerungsvermögen
Wie bei einer Getränkedose, die erst seitlich eingedrückt und dann wieder in ihre ursprüngliche Form zurückfindet, wirkt bei der magnetischen Formgedächtnislegierung zunächst eine Kraft waagrecht auf die Probe. Das Magnetfeld in senkrechter Richtung stellt die ursprüngliche Form wieder her. © Reiner Müller / FRM II, TUM
Wenn metallische Gegenstände ihre Form scheinbar ohne äußere Einwirkung und nur nach dem Willen ihrer Besitzer ändern, klingt das erstmals nach Superheldencomics wie Magneto und Ironman. Allerdings basiert die Idee in den Comics auf real-existierenden Materialien, den sogenannten Magnetischen-Formgedächtnislegierun- gen (MFGL). Und hat auch noch Anwendungspotential: in der Robotik oder Medizintechnik.
MFGLs sind Metalle, die ihre geometrische Form in Abhängigkeit eines äußeren Magnetfelds oder der Temperatur ändern können. Verantwortlich dafür ist die Kombination von zwei zueinander senkrecht stehenden, verformten Kristallgittern (so genannten Zwillingen). Unter normalem Druck oder Magnetfeld sind zwei Zwillingsphasen im Gleichgewicht. Wenn man aber einen relativ geringen Druck auf das Material ausübt, wird eine der zwei Phasen bevorzugt und das Metall verformt sich. Wird nun ein Magnetfeld angelegt, orientieren sich die magnetischen Domänen um und zwingen das Material, seine ursprüngliche Geometrie anzunehmen – das sogenannte magnetische Formgedächtnis.
Diese interessante Wechselwirkung zwischen mechanischem Stress und Magnetismus eröffnet von Robotik über die Medizintechnik bis zur Sensorik eine Fülle von potenziellen Anwendungen.
Genauer Mechanismus umstritten
Der sichtbare Effekt an sich ist schon lange bekannt, allerdings blieb der genaue mikroskopische Magnetisierungsmechanismus in MFGLs lange umstritten. Eine der effizientesten Methoden zur Erforschung dieser Frage ist die Diffraktion mit polarisierten Neutronen wie sie z.B. am Instrument POLI am MLZ eingesetzt wird. Dafür muss sich die untersuchte Probe im Magnetfeld befinden und der anfallende Neutronenstrahl im Voraus so präpariert werden, dass alle magnetischen Momente der einzelnen Neutronen entlang der Feldrichtung ausgerichtet sind. Man nennt sie „polarisierte Neutronen“, weil sie eine bestimmte magnetische Polarität haben. Die Neutronen wirken dann wie mikroskopische Kompassnadeln, die einzelne magnetische Atome in der Probe spüren und diese von den magnetischen Domänenwänden unterscheiden können.
In MFGL Materialien bewirkt das magnetische Feld auch die Bewegung der Zwillingsphasen, was es unmöglich macht, diese von der Bewegung der rein magnetischen Domänen zu trennen. Ein internationales Wissenschaftlerteam der Universität Hong Kong hatte die Idee, ein polarisiertes Diffraktionsexperiment mit simultaner Anlegung von mechanischem Stress durchzuführen. „Damit konnte man die Wechselwirkung vom angelegten Druck und Magnetfeld im MFGL zum ersten Mal auf atomarer Ebene genau untersuchen und klar unterscheiden“, so Dr. Vladimir Hutanu, Kristallograph an der RWTH Aachen und Instrumentwissenschaftler am POLI, das gemeinsam von der RWTH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich am MLZ betrieben wird.
Einzigartiger Messaufbau
Mit dieser Apparatur konnte zusätzlich zu einem Magnetfeld auch mechanischer Stress appliziert werden. © Vladimir Hutanu
Das gleichzeitige Anlegen eines Magnetfelds und mechanischer Belastung ist in der Praxis schwer umzusetzen. Auf der Suche nach einer geeigneten Forschungseinrichtung sind die Wissenschaftler deshalb auf das Instrument POLI am MLZ aufmerksam geworden. Hier wurde 2017 ein neuartiger Magnet mit Hochtemperatursupraleiter und ausreichend Platz für die Drucktechnik am Probenort für die polarisierte Neutronendiffraktion konstruiert. Dieser einzigartige Aufbau ermöglichte es, das Experiment erfolgreich durchzuführen.
So konnten die Wissenschaftler die Bewegung der Zwillingsphasen und jene der magnetischen Domänen unterscheiden und damit die Einblicke in die mikroskopischen Magnetisierungsprozesse von MFGLs gewinnen. „Dieses Wissen ermöglicht es, neue MFGLs für die Anwendung in der Robotik oder Medizintechnik zu entwickeln“, sagt Vladimir Hutanu. Die Ergebnisse der Forscher publizierte die renommierten Zeitschrift Applied Physics Letters. Nur, weil sie komplexe Apparaturen am Probenort aufbauen konnten, gewannen die Wissenschaftler ein besseres Verständnis dieser einzigartigen Materialien. Dr. Jürgen Peters, Verantwortlicher für die Probenumgebung am MLZ, sagt: „Wir arbeiten ständig daran, das verfügbare Methodenarsenal zur Neutronenstreuung zu erweitern und komplexe, vor wenigen Jahren noch unmögliche Experimente, umzusetzen.“
Originalpublikation:
Y. B. Ke, S. Lan, Y. Wu, H. H. Wu, V. Hutanu, H. Deng, A. Pramanick, Y. Ren, and X.-L. Wang. Unraveling magneto-structural coupling of Ni2MnGa alloy under the application of stress and magnetic field using in situ polarized neutron diffraction.
Appl. Phys. Lett. 117, 081905 (2020),
DOI: 10.1063/5.0016278
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