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12.06.2023
Von orange zu rot: Wie sich Bakterien vor Sonnenlicht schützen
Cyanobakterien haben einen eingebauten Sonnenschutz in ihren Zellen. Ein deutsch-estnisches Forschungsteam hat nun unter Verwendung von Neutronen am MLZ das orange Carotinoid-Protein direkt in Aktion beobachtet. Dabei fanden sie überraschenderweise heraus, dass sich eine bisher viel untersuchte Mutante des Proteins deutlich anders verhält als das Original.
Dr. Wiebke Lohstroh am Flugzeitspektrometer TOFTOF, beim Einsetzen eines Probenstabs. © Andreas Heddergott, FRM II / TUM
Proteine, also Eiweiße, sind einer der wichtigsten Bausteine in lebenden Organismen. In Bakterien schützen sie unter anderem sensible Zellbestandteile. Aufgebaut sind Proteine aus langkettigen Verbunden der Aminosäuren, die sich zu komplexen dreidimensionalen Anordnungen falten. Erst durch diese Struktur erhalten sie die Fähigkeit, Transportprozesse, Stoffwechsel und Kommunikation zwischen einzelnen Zellbestandteilen auszuführen. Einige Proteine verändern ihre Form auf bestimmte äußere Reize hin, um ihre Aufgabe auszuführen. So auch das orange Carotenoid-Protein (OCP), das sich in Cyanobakterien findet.
Bei zu viel Sonne rot statt orange
Die Einzeller, die häufig in Süßwasser, aber auch im Meer oder in der Erde vorkommen und fälschlicherweise als Blaualgen bezeichnet werden, betreiben wie Pflanzen Photosynthese. Wird die Sonneneinstrahlung zu stark, würde sie die Reaktionszentren in den Bakterien schädigen. Der biologische Kniff, um dies zu verhindern liegt im OCP. Nimmt das Protein ein Übermaß an Licht wahr, wechselt es von seiner inaktiven orangenen Form (OCP-O) zu der aktiven roten Form (OCP-R) und lagert sich an die Licht-verarbeitenden Zellbestandteile an. Die aktive Form absorbiert selbst Licht und wandelt es in Wärme um – die Belastung auf die Photosynthese-Maschinerie nimmt ab.
Phasentrennung zwischen orangen (inaktiven) und roten (aktiven) Proteinen in einem Glasfläschchen. Die Aktivierung erfolgt bei Beleuchtung.
Mit Neutronen den Proteinen auf den Zahn fühlen
Fokus der Untersuchung waren die bisher wenig erforschten dynamischen Vorgänge im Inneren des Proteins und ihre Rolle beim Übergang zum aktiven Zustand. Aus den Neutronen am FRM II wird am Flugzeitspektrometer TOFTOF eine bestimmte Wellenlänge ausgewählt. Die Neutronen treffen auf die Probe und ändern dabei ihre Wellenlänge. Aus dieser Änderung ziehen die Forschenden Rückschlüsse auf die Bewegung der Proteine.
„OCP ist sehr gut charakterisiert und ermöglicht es uns, nacheinander Messungen mit und ohne Licht an der gleichen Probe durchzuführen“, sagt Dr. Wiebke Lohstroh, Wissenschaftlerin am Flugzeitspektrometer TOFTOF an der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibniz (FRM II).
Während die atomare Struktur der inaktiven Proteinkonfiguration OCP-O in Lösung bekannt ist, gibt es zum entsprechenden Aufbau des aktiven OCP-R erst wenige Erkenntnisse, obwohl gerade die Struktur das dynamische Verhalten bedingt. Das mutierte Protein OCP-W288A hingegen ist ausführlich charakterisiert und wird bislang als gutes Modellsystem für das gelöste OCP-R angesehen. Die Forschenden integrierten die Mutante also als Vergleichsobjekt in ihre Experimente. Um die Zustandsänderung des Proteins zu stimulieren und in der Folge zu vermessen, taten sich Dr. Maksym Golub und Prof. Dr. Jörg Pieper von der Universität von Tartu, Estland, mit Lohstroh zusammen. Zusammen ergänzten sie das TOFTOF durch ein optisches Setup, das eine Probenzelle mit Licht bestrahlen kann.
Kleine Bewegungen – große Wirkung
Zum ersten Mal konnte das Team um Golub und Pieper in einem In Situ-Experiment direkt die geringere Stabilität des aktiven Zustandes OCP-R beobachten. So ist die durchschnittliche Zeit, die das aktive Protein in einem gegebenen Zustand verweilt merklich kürzer als die der inaktiven Variante. Die lässt sich mit einer „Öffnung“ des Proteins bei einer Aktivierung erklären. Die Oberfläche vergrößert sich dabei und erlaubt es so mehr Wassermolekülen dagegen zu stoßen. Die Beweglichkeit der Proteinmutante OCP-W288A erwies sich entgegen vorherigen Annahmen als noch einmal deutlich größer, was ihre Vergleichbarkeit mit OCP-R stark einschränkt.
Dies zeigt erneut die Fähigkeit wissenschaftlicher Forschung sich stets weiterzuentwickeln und zuvor getroffene Annahmen kritisch zu hinterfragen. Die hier ermittelten Vergleichswerte können sich als wertvoll erweisen für Folgestudien, die die Moleküldynamiken dieser Proteine simulieren wollen. „Ohne dieses Experiment wüssten wir nicht, wie viel instabiler die Mutation das OCP macht“, erklärt Lohstroh. „Dieses Wissen hilft uns nun, Proteine in Zukunft noch besser verstehen.“
Originalpublikation:
M. Golub, M. Moldenhauer, F.-J. Schmitt, W. Lohstroh, T. Friedrich, and J. Pieper
Light-Induced Conformational Flexibility of the Orange Carotenoid Protein Studied by Quasielastic Neutron Scattering with In Situ Illumination
J. Phys. Chem. Lett. 2023, 14, 295−301
10.1021/acs.jpclett.2c03198
Mehr Informationen:
Das Projekt erhielt finanzielle Unterstützung durch den Estnischen Forschungsrat (Grants PRG 539 und SLOKT 12026 T) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG, Förderungen FR 1276/5-1 und FR 1276/6-1 an T.F.).
Neben der Technischen Universität München und der Universität Tartu waren auch Forschende der Martin-Luther-Universität Halle und der Technischen Universität Berlin beteiligt.
Kontakt:
Prof. Dr. Jörg Pieper
Institute of Physics, University of Tartu, Estonia
Tel.: +(372) 737 4627
E-Mail: pieper@ut.ee
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