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10.08.2022

Mit Neutronen den Urahnen der Säugetiere auf der Spur

Untersuchungen an Forschungs-Neutronenquelle ermöglichen Entdeckung einer bisher unbekannten Tierart

Rekonstruktion des Tessellatia bonapartei Rekonstruktion des Tessellatia bonapartei Eine Rekonstruktion des Tessellatia bonapartei mit Schnurrhaaren. © Juan Cristobal Sotomayor

Eine Rekonstruktion des Tessellatia bonapartei mit Schnurrhaaren. © Juan Cristobal Sotomayor

Ein deutsch-argentinisches Forschungsteam hat mit Hilfe von Neutronen an der Forschungs-Neutronenquelle FRM II der Technischen Universität München (TUM) eine seit 220 Millionen Jahren ausgestorbene Tierart identifiziert. Die neue Spezies gibt überraschende Einblicke in die Evolution der Säugetiere.

Eine lange Schnauze, einen massiven Kiefer und scharfe Zähne besaß die neu entdeckte Spezies Tessellatia bonapartei. Sie gehört zur Gruppe der Cynodontia, wörtlich übersetzt „Hundezähner“, aus denen die Säugetiere hervorgingen.

Die Knochen der etwa mausgroßen Cynodontia-Art fanden argentinische Forschende im wüstenähnlichen Nationalpark Talampaya im Westen von Argentinien. „Die Knochen waren sehr fragil und konnten deshalb nicht vom umgebenden Gestein getrennt werden ohne sie zu zerstören“, erklärt Dr. Aureliano Tartaglione von der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz der TUM. Er hat gemeinsam mit Dr. Leandro Gaetano vom CONICET (Nationaler Rat für wissenschaftliche und technologische Forschung in Argentinien) an dem Projekt gearbeitet.

Forscher Dr. Aureliano Tartaglione an ANTARES Forscher Dr. Aureliano Tartaglione an ANTARES Am Instrument ANTARES führten die Forschenden Dr. Aureliano Tartaglione (l.) und Dr. Michael Schulz die Untersuchungen mit Neutronen durch. © Leandro Gaetano

Am Instrument ANTARES führten die Forschenden Dr. Aureliano Tartaglione (l.) und Dr. Michael Schulz die Untersuchungen mit Neutronen durch. © Leandro Gaetano

Scharfe Bilder dank Neutronen

Die Forschenden begannen mit einer Röntgenuntersuchung, um sich ein Bild von den Knochen zu machen. Wegen des hohen Eisengehalts der versteinerten Erde waren die fossilen Knochen auf den Röntgenbildern jedoch kaum von der umgebenden Erde zu unterscheiden. Für Neutronen dagegen stellt Eisen kein großes Hindernis dar. Daher nutzten die Forschenden die Methode der Neutronen-Tomografie an der Anlage RA-6 in der Comisión Nacional de Energía Atómica in Argentinien.

Die sogenannten thermischen Neutronen des RA-6 lieferten vielversprechende Ergebnisse, allerdings mit niedriger räumlicher Auflösung. Daher setzten die Forschenden die Untersuchungen am Instrument ANTARES der Forschungs-Neutronenquelle in Garching fort. „Hier haben wir mit kalten Neutronen mit einer größeren Wellenlänge einen viel besseren Kontrast, und außerdem bietet ANTARES eine höhere räumliche Auflösung“, erklärt Tartaglione.

Dr. Leandro Gaetano Dr. Leandro Gaetano Dr. Leandro Gaetano aus Argentinien bereitet den Versuchsaufbau am FRM II vor und legt die Fossilien in den Probenhalter für die Tomographie ein. © Dr. Aureliano Tartaglione

Dr. Leandro Gaetano aus Argentinien bereitet den Versuchsaufbau am FRM II vor und legt die Fossilien in den Probenhalter für die Tomographie ein. © Dr. Aureliano Tartaglione

Schnurrhaare und massiver Unterkiefer

Erst dank der guten Auflösung am ANTARES stellten die Paläontologen fest, dass die ausgegrabenen Knochen zu einer bisher unbekannten Art gehörten. „Das war eine große Überraschung für uns“, sagt Tartaglione. „Denn in dieser Periode der Trias, dem Norium, gibt es weltweit nur sehr wenige Funde von Vertretern der Cynodontia.“ Die neu entdeckte Art Tessellatia bonapartei wurde nach dem führenden argentinischen Wissenschaftler Dr. José F. Bonaparte benannt.

Bei Tessellatia bonapartei fanden die Forschenden Eigenschaften, die es bei anderen Funden nicht gab. Überraschende Merkmale der neuen Cynodontia-Art waren die stark unterschiedliche Anzahl von Zähnen in Ober- und Unterkiefer, sowie der sehr massive Unterkiefer, der im Gegensatz zu allen bisherigen Beobachtungen bei Cynodontia einen Zwischenraum seitlich der Zahnreihen aufweist. Außerdem wies der Fund eine weitere Besonderheit auf: einen hohlen Kanal im Oberkiefer. Durch diesen Kanal verliefen zu Lebzeiten des Tiers Nerven. Das lässt darauf schließen, dass Tessellatia bonapartei, wie viele der heutigen Säugetiere, Schnurrhaare besaß.

Cynodont Cynodont Die 3D-Bilder zeigen die überraschenden Merkmale des Funds. © https://doi.org/10.1038/s41598-022-10486-4

Die 3D-Bilder zeigen die überraschenden Merkmale des Funds. © https://doi.org/10.1038/s41598-022-10486-4

Puzzlestück in der Forschung über den Ursprung der Säugetiere

Den Stammbaum der Cynodontia haben die Forschenden nun um die neue Art ergänzt. Mit dem neuen Wissen können sie die Evolution von Säugetieren besser nachvollziehen, indem sie die Entwicklungsschritte, wie die Entwicklung der Schnurrhaare, im Stammbaum nachzeichnen und mit den anderen abzweigenden Arten vergleichen. Die Forschungsergebnisse bestätigen auch die Annahme, dass Säugetiere aus dem heutigen Süden Brasiliens stammen. Der Fund liefert damit ein wichtiges Puzzlestück in der Forschung nach dem Ursprung der Säugetiere.

Publikation:
L.C. Gaetano, F. Abdala, F.D. Seoane, A. Tartaglione, M. Schulz, A. Otero, J. M. Leardi, C. Apaldetti, V. Krapovickas, E. Steimbach A new cynodont from the Upper Triassic Los Colorados Formation (Argentina, South America) reveals a novel paleobiogeographic context for mammalian ancestors. Sci Rep 12, 6451 (2022). https://doi.org/10.1038/s41598-022-10486-4

Mehr Informationen:
Die Experimente wurden bei der Comisión Nacional de Energía Atómica, San Carlos de Bariloche, Argentinien, an der Anlage RA-6 (CNEA) und bei der Firma Y-TEC durchgeführt sowie am Instrument ANTARES, das vom FRM II am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum (MLZ), Garching, Deutschland, betrieben wird. Die Forschenden arbeiten an der Technischen Universität München, dem Consejo Nacional de Investigaciones Científicas y Técnicas (Instituto de Estudios Andinos “Don Pablo Groeber”, Universidad Nacional de La Plata und Universidad Nacional de San Juan), Universidad de Buenos Aires und Laboratorio Argentino de Haces de Neutrones in Argentinien, sowie der University of the Witwatersrand in Johannesburg, Südafrika. Diese Forschung wurde teilweise von der Agencia Nacional de Promoción Científica y Tecnológica, dem Consejo Nacional de Investigaciones Científicas y Técnicas, Sepkosky Grant und The Explorers Club Grant finanziert.

Kontakt:
Dr. Aureliano Tartaglione
Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) und
Heinz Maier-Leibnitz Zentrum (MLZ)
Technische Universität München
Lichtenbergstr. 1, 85748 Garching
Tel.: +49 89 289 12106
E-Mail: aureliano.tartaglione@frm2.tum.de

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