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30.07.2021

Erstmals ideales Glas mit Neutronen nachgewiesen

Das ideale Glas in Bayern Das ideale Glas in Bayern Das ideale Glas ist in Bayern natürlich randvoll mit kühlem Bier gefüllt. © Reiner Müller / FRM II, TUM

Das ideale Glas ist in Bayern natürlich randvoll mit kühlem Bier gefüllt. © Reiner Müller / FRM II, TUM

Lange haben Forschende diskutiert, ob das ideale Glas existiert. Jetzt ist es Physikern aus Spanien gelungen, das ideale Glas herzustellen und erstmals mit Neutronenstreuung am MLZ zu beobachten.

Was unterscheidet Kristall von Glas? Physikalisch liegt der Unterschied in der inneren Struktur, die jedoch maßgeblich von den äußeren Bedingungen beeinflusst wird, bei denen beide Festkörper erstarren. Ein Kristall muss langsam und kontrolliert abkühlen. Dann können sich die Moleküle in einem regelmäßigen Gitter anordnen, in dem sich ihre Kräfte gegenseitig aufheben. Damit hat ein Kristall den geordnetsten Zustand, in dem sich ein Festkörper befinden kann. Seine innere Struktur ist sehr stabil und bleibt erhalten, egal wie lange man ihn auch stehen lässt.

Zustand eines Kristalls kann Glas nie erreichen

Ganz anders sieht es bei einem Glas aus. Verläuft das Abkühlen zu schnell, dann haben die Moleküle keine Zeit sich regelmäßig anzuordnen und sie erstarren im ungeordneten Zustand, in dem sie auch als Flüssigkeit vorlagen. Die Moleküle haben noch nicht ihre optimale Position erreicht. Und die Kräfte zwischen ihnen sorgen dafür, dass das Glas weiterhin seine Struktur leicht ändern kann, um ein möglichst stabiles Gleichgewicht zu erreichen. Den Zustand eines Kristalles kann ein Glas jedoch nie erreichen. Denn dazu müsste es bereits stabile Bindungen zwischen Molekülen unter Energieaufwand aufbrechen.

Paradoxe Ordnung: Kann Glas geordneter sein als ein Kristall?

Dr. Marcell Wolf Dr. Marcell Wolf Dr. Marcell Wolf am Neutronen-Flugzeitspektrometer TOFTOF mit der Probenzelle für die Messungen. © © Bernhard Ludewig / FRM II, TUM

Dr. Marcell Wolf am Neutronen-Flugzeitspektrometer TOFTOF mit der Probenzelle für die Messungen. © © Bernhard Ludewig / FRM II, TUM

Das Maß an Ordnung wird in der Physik mit der Entropie beziffert. Je geringer die Entropie, desto höher die Ordnung. Durch seine Strukturänderungen strebt ein Glas immer mehr einen geordneten Zustand an. Die Berechnungen der Entropie sagen voraus, dass diese nach einer gewissen Zeit die eines Kristalles unterschreiten sollte. Per Definition ist das nicht möglich, denn die größte Ordnung und damit auch die geringste Entropie besitzt die Kristallstruktur, die für ein Glas unerreichbar ist. Das ist das sogenannte Kauzmann Paradoxon. Um das zu lösen, wurde schon lange vermutet, dass ein Glas, bevor es die Entropie des Kristalls unterschreitet, durch einen Phasenübergang zu einem idealen Glas wird. In diesem Zustand hätte es immer noch eine höhere Entropie als ein Kristall, aber die niedrigste, die es als Glas erreichen kann.

Am TOFTOF zeigt sich erstmals die Signatur des idealen Glases

Mithilfe des Instruments TOFTOF am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum (MLZ) hat die Forschungsgruppe aus San Sebastián, Spanien, das ideale Glas nicht nur nachgewiesen, sondern auch zum ersten Mal bei inelastischer Neutronenstreuung beobachtet. Gläser können aufgrund ihrer höheren Unordnung besser die Energie der einfallenden Neutronen aufnehmen als ein ideales Glas. Im Streuspektrum ist das als ein Maximum sichtbar, das beim idealen Glas fehlen sollte. Dieses Verschwinden des Maximums gilt als Signatur des idealen Glases. “Die übertragene Energie der Neutronen an das Glas liegt optimal in dem zu beobachtenden Energiespektrum unseres Neutronenspektrometers TOFTOF. Es registriert auch minimalste Änderungen des Maximums und ist damit hervorragend für diese Messung geeignet”, sagt Dr. Marcell Wolf, Instrumentwissenschaftler am TOFTOF.

Statt mehrere Jahrhunderte dauerte Herstellung 100 Stunden

Die größte Herausforderung, vor der Physiker:innen auf der Suche nach dem idealen Glas standen, waren die langen Zeitskalen, in denen herkömmliches Glas seine Struktur verändert. Der Zustand des idealen Glases würde erst nach einer Zeit zwischen mehreren Jahrhunderten und dem Alter der Erde selbst erreichen- undenkbar für Laborexperimente. Daher hat sich die Forschungsgruppe aus Spanien zunutze gemacht, dass dieser Alterungsprozess umso schneller abläuft, je größer die Oberfläche des Glases ist. Für ihre Untersuchungen haben sie Glaspulver benutzt, bestehend aus kleinen Kugeln mit einem Durchmesser von etwa 150 Nanometer. Damit erreichte ihre Probe den Zustand des idealen Glases in unter 100 Stunden.

Originalveröffentlichung:

Xavier Monnier, Juan Colmenero, Marcell Wolf and Daniele Cangialosi. Reaching the Ideal Glass in Polymer Spheres: Thermodynamics and Vibrational Density of States. Physical Review Letters 126, 118004 (2021). DOI: 10.1103/PhysRevLett.126.118004

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