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14.08.2015
„Brillant kombiniert, Mr. Holmes“: Neutronenkristallographie für die Biologie
Mit diesem Proteinkristall wurden die Neutronenmessungen gemacht; er hat eine Größe von ~1,3 x 1,2 x 1,0 mm und ein Volumen von 1,6 mm 3.
Für die Funktionsfähigkeit biologischer Moleküle wie Enzyme oder auch Antikörper, ist meist ein Protonentransfer oder die Protonierung bestimmter Molekül-Gruppen essentiell. Im Gegensatz zu vielen anderen strukturauflösenden Methoden sind Protonen für Neutronen sehr gut von anderen Bausteinen zu unterscheiden. In Kombination mit anderen Untersuchungsmethoden haben Wissenschaftler in letzter Zeit mit dem Instrument BIODIFF am MLZ erstaunliche Ergebnisse erzielt. Dennoch greifen Biologen nicht sehr oft auf diese überaus hilfreiche Methode zu, weil sie erfordert, dass das zu untersuchende Biomolekül in kristalliner Form vorliegt. Zudem müssen diese Kristalle ein Mindestvolumen aufweisen, was bei vielen biologisch relevanten Molekülen eine große Herausforderung darstellt. Die Kristallografen haben in diesem Fall jedoch ganze Arbeit geleistet und mit der geringen Menge von 7 mg Protein ausreichend große Kristalle gezüchtet, die ein Neutronenexperiment erst möglich gemacht haben.
Kombination mit ultrahochauflösender Röntgenkristallographie
Vier Wissenschaftler aus Schweden (Mats Ohlin, Laura von Schantz, Derek T. Logan und S. Zoe Fisher) hatten bereits die entscheidenden Bausteine der kohlenhydratspaltenden Enzyme identifiziert, die für deren ganz spezifische Wirkungsweise verantwortlich sind. Sie kamen ans MLZ bereits mit einem kompletten Datensatz aus der Röntgenkristallographie und ergänzten ihre bereits vorhandenen Ergebnisse durch eine Neutronenstrukturanalyse am Instrument BIODIFF. Dazu mussten ein Teil der Wasserstoffatome durch Deuterium ersetzt werden. Neutronen können direkt und mit hoher Auflösung, Wasserstoff und sein Isotop Deuterium voneinander unterscheiden. Anders als Röntgenstrahlen, können Neutronen zudem die Atomposition von Wasserstoff- bzw. Deuteriumatomen bestimmen, die eine erhöhte Beweglichkeit aufweisen, was oft beim Protonentransfer oder Wassermolekül-Netzwerken der Fall ist. Mit Hilfe der Software PHENIX, die beide Datensätze gleichzeitig bei der Strukturverfeinerung verwendet, gelang es, die Details des durch Wasserstoffbrücken verbundenen Wasser-Netzwerks rund um die für die Funktion notwendige aktive Stelle zu enthüllen. Damit gelang erstmals eine Neutronenstrukturanalyse dieser wichtigen Substanzklasse, die außerdem einen großen wirtschaftlichen Wert hat. Obwohl ihr genauer Reaktionsmechanismus bislang unklar ist, werden sie beispielsweise industriell als Enzyme zur Biodieselproduktion und in Raffinerien eingesetzt. Die gewonnenen Erkenntnisse können zukünftig dazu dienen, maßgeschneiderte Enzyme für diese industriellen Prozesse herzustellen, die effizienter funktionieren.
Kombination mit Kernspinresonanz
Bislang hat kein Wissenschaftler strukturauflösende Neutronendiffraktion mit der Kernspinresonanz zur Bestimmung von pH-Wert abhängigen Effekten in Enzymen kombiniert. Das haben Physiker und Biologen in einer transatlantischen Zusammenarbeit nachgeholt und konnten so einen wichtigen Prozess klären: Wie nämlich der Protonentransfer in dem biologisch wichtigen Enzym Carboanhydrase die Hydratisierung von Kohlendioxid zum Hydrogenkarbonat ermöglicht.
Der Protonentransfer reagiert dabei äußerst empfindlich auf eine Reihe von Faktoren wie pH-Wert, Elektrostatik und die korrekte Geometrie an der aktiven Stelle des Enzyms. Die Wissenschaftler untersuchten den Mechanismus am Beispiel der Carboanhydrase, da diese eine ganze Gruppe von allgegenwärtigen Enzymen repräsentiert, die im menschlichen Körper für viele Vorgänge wie beispielsweise die Atmung unverzichtbar sind. Die Carboanhydrase übergibt Protonen schnell und effizient über eine Reihe von hydrophilen Aminosäureseitenketten, die ein hochgeordnetes wasserstoffbrückengebundenes Wassernetz koordinieren.
Die internationale Forschergruppe kombinierte erstmals Kernspinresonanzexperimente (NMR) mit Neutronen-Proteinkristallographie, um die Wirkung von pH-Wert und zweiwertigen Kationen beim Protonentransfer in der menschlichen Carboanhydrase II zu untersuchen. Die Wissenschaftler untersuchten mit Neutronen die Protonierung von acht Tyrosinbasen bei verschiedenen pH-Werten in der kristallisierten Carboanhydrase und in Lösung zusätzlich mittels der Methode der Kernspinresonanz (NMR). Sie gewannen damit wertvolle Erkenntnisse, wie der Protonentransfer bei einem physiologischen pH-Wert ablaufen kann. Da ähnliche Effekte vermutlich auch in anderen Enzymsystemen auftreten, sind diese Ergebnisse übertragbar und sehr nützlich für die Bioinformatik, die nur belastbare Ergebnisse liefern kann, wenn die Position von Wasserstoffatomen exakt experimentell bestimmt ist. Die Ergebnisse der Wissenschaftler haben deshalb weitreichende Auswirkungen auf unser Verständnis des Protonentransfers und wie subtile Veränderungen der Partialladungen und der Wasserstoffverbrückung die Enzymkatalyse modulieren können.
Originalpublikationen:
Mats Ohlin et al.; Crystallization, neutron data collection, initial structure refinement and analysis of a xyloglucan heptamer bound to an engineered carbohydrate-binding module from xylanase; ActaCryst. F 71, 1072 (2015).
R. Michalczyka et al.; Joint neutron crystallographic and NMR solution studies of Tyr residue ionization and hydrogen bonding: Implications for enzyme-mediated proton transfer; PNAS 112, 5673 (2015).
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