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Als vor dem Atom-Ei noch geackert wurde
Dieses Foto kennt in Garching jedes Grundschulkind: Josef Leinthaler bestellt mit eingespannten Rössern das Feld vor dem noch nicht fertig gestellten Forschungsreaktor München (FRM). © DLG
Zeitlebens bestellte Josef Leinthaler seine Felder auf dem Ackerland um Garching. Die Entwicklung des kleinen Dorfes vor München zu einem weltweit renommierten Wissenschaftszentrum hätte sich der ansässige Landwirt jedoch schwer vorstellen können. Angefangen hat alles vor über 60 Jahren mit dem Bau von Deutschlands erster kerntechnischer Anlage – dem Forschungsreaktor München, im Volksmund „Atom-Ei“ – direkt neben dem Acker von Josef Leinthaler.
Der Campus, wie das Forschungsgelände in Garching genannt wird, ist ohne „Atom-Ei“ kaum vorstellbar. Doch wo heute Wissenschaftler an neuen Ideen forschen, haben früher Bauern Landwirtschaft betrieben. Einer von ihnen ist Josef Leinthaler. Das Foto, das ihn vor dem noch nicht fertig gestellten Forschungsreaktor München (FRM) zeigt, wie er ein Feld mit eingespannten Rössern bestellt, kennt in Garching jedes Grundschulkind.
Der damalige Fotograf erkannte die Besonderheit dieses Motivs. Das Bild erschien 1957 auf dem Titelblatt einer landwirtschaftlichen Zeitung mit dem Text: „Zeichen der neuen und der alten Zeit“. Der Bau einer hochmodernen Technik, die ein neues Zeitalter für Garching und die Welt einläuten wird, trifft auf eine bald scheidende Arbeitsweise in der Landwirtschaft.
Zu Hause in seiner Stube gibt der heute 90-Jährige seine Eindrücke vom Bau des Atom-Eis wider. Es gibt Kaffee und Kuchen, seine Frau hat gebacken. Zu dem Gespräch ist auch Josefs zwei Jahre jüngerer Bruder Johann gekommen.
Das heute berühmte Bild erschien 1957 auf dem Titelblatt einer landwirtschaftlichen Zeitung mit dem Text: „Zeichen der neuen und der alten Zeit“. © DLG
Josef Leinthaler erzählt, wie er die Rösser vor die Egge gespannt hat, um das zur Baustelle angrenzende Feld zu bestellen. Zwar besitzt die Familie schon viele Jahre einen Traktor, dass es aber einmal ganz ohne Pferde gehen wird, konnte man sich damals nicht vorstellen und so hatte die Familie noch 2 Jahre zuvor den Stall neu gebaut. Es sollte anders kommen. 1960 verließ das letzte Ross den Leinthaler-Hof. Am Ort waren sie damit einer der letzten Bauernhöfe, der auf einen maschinellen Fuhrpark umstellte.
Vom Ackerland zum Wissenschaftscampus
Am 31. Oktober 1957 wurde der FRM als erster Forschungsreaktor Deutschlands in Betrieb genommen. Zuvor hatten sich mehrere Städte als Standort beworben und auch Garchings damaliger Bürgermeister Josef Amon witterte die Chance. Wegen der günstigen Lage direkt an der Isar flussabwärts von München, und der dünnen Besiedelung standen die Aussichten gut.
Informationen an die Bevölkerung oder gar kritische Diskussionen innerhalb der Ortsbewohner gab es im Vorfeld nicht. „Es war halt so! Das wurde dann praktisch im Wirtshaus entschieden“, lacht Josef Leinthaler und meint damit die Entscheidungsträger vom Bürgermeister aufwärts, „zumindest war das so Ortsgespräch.“
Das Atom-Ei rief keine negativen Gefühle hervor. Es wurde nicht hinterfragt, oder gar zu verhindern versucht. Die einzige Emotion damals, die man im Interview raushören konnte, war wohl eher eine Art unterschwelliger Stolz, dass Garching den ersten Forschungsreaktor deutschlandweit bekomme. Das 1967 kreierte Gemeindewappen zeugt davon. Das Atom-Ei ist u.a. darauf abgebildet.
Innerhalb eines knappen Jahres wurde das markante Gebäude rund 2 km vom damaligen Ortsrand entfernt in die Landschaft gebaut. Man könnte auch sagen: ins Nichts. Denn es gab zunächst nur einen Feldweg als Zuwegung. Professor Heinz Maier-Leibnitz kaufte im Auftrag der Bayerischen Staatsregierung den ansässigen Bauern den Grund für den Reaktor ab.
Der heute 90-jährige Josef Leinthaler erinnert sich noch gut an den Bau von Deutschlands erster kerntechnischer Anlage. © FRM II / TUM
„Damals hieß es, mehr kommt da nicht mehr hin“, erinnert sich Josef Leinthaler. Die Bevölkerung wusste nichts von dem großen Plan, der vermutlich schon in der Schublade der Regierung lag. Denn beim Bau des Atom-Ei blieb es nicht. Es dauerte nicht lange, bis sich immer mehr Institute um den Reaktor ansiedelten, viel später auch Firmen. Auch die Leinthalers tauschten ihren Acker irgendwann gegen ein anderes Feld ein. „Das war damals nichts Besonderes“, versichert Johann Leinthaler. Manche Bauern, die viel Fläche ihres Hofes verkauften, um den Instituten dem Gewerbegebiet oder dem Wohnungsbau Platz zu machen, siedelten nach Niederbayern aus, um sich dort wieder eine Existenz zu schaffen.
Leben mit der Wissenschaft
Garching, das mit Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen nach dem Krieg seine Einwohnerzahl verdoppelte und 1956 gut 2800 Einwohner hatte, wuchs auch durch den Zuzug von Wissenschaftlern und anderen Beschäftigten am Campus unaufhörlich weiter. Aus dem beschaulichen Bauerndorf wurde eine Kleinstadt mit heute 18.000 Einwohnern. Diese Entwicklung war zur damaligen Zeit nicht vorstellbar.
Zunächst war der Austausch zwischen den Wissenschaftlern und der ansässigen Bevölkerung eher gering. Heute wohnen in der Nachbarschaft der Familie Leinthaler viele Beschäftigte des Wissenschaftscampus aber auch Studenten. Garching wurde zur Stadt erhoben und nennt sich nun „Universitätsstadt“.
Das Ei ist aus Garching nicht mehr wegzudenken
Josef Leinthaler hat nach der Fertigstellung selbst einmal an einer Besichtigung des FRM teilgenommen. „Heute sieht das natürlich alles ganz anders aus“, meint er. Mittlerweile ist das markante Gebäude aus dem Garchinger Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Die eiförmige Kuppel des Gebäudes steht mittlerweile unter Denkmalschutz.
Am 28. Juli 2000 würde der FRM aus Modernisierungsgründen endgültig abgeschaltet. Zukünftig soll das
Innere des markanten Baus als Erweiterung des 2004 in Betrieb genommenen FRM II dienen.
Marie Budzinski
Presse- und Öffentlichkeits-
arbeit TUM
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